Unser täglich Spam

Aus dem Internet frisch auf den Tisch. Köstlich und aromatisch.


Als ob sie im Freien schlafen!

Dienstag, 22. Oktober 2024, 11:21 Uhr

Wenn man die Website eines bestimmten (hier wegen der dreisten und offen leserverachtenden Unverschämtheit bewusst nicht verlinkten) österreichischen Presseproduktes öffnet – zum Beispiel, um einen Artikel zu lesen, auf den man in seiner Morgenlektüre hingewiesen wurde – wird man mit dem folgenden Gängellayer aus der contentindustriellen Hirnhölle konfrontiert (für eine Ansicht in Originalgröße auf das Bild klicken):

Screenshot: P. -- Jetzt Option wählen und weiterlesen -- Linke Seite: *Bestes Angebot -- Kostenlos registrieren -- 1 Woche unbegrenzt alle Artikel lesen -- Tageszeitung als digitale Ausgabe  -- endet automatisch -- keine Zahlungsdaten notwendig -- Weiterlesen (Link) -- Rechte Seite: Tagespass -- alle Artikel freigeschaltet -- Zugriff endet nach 24 Stunden -- Tageszeitung als digitale Ausgabe -- 4,99€ für 24 Stunden (Link) -- Sie haben bereits ein Abo? Jetzt anmelden (Link) -- (In das Bild montierte Anmerkung: Screenshot vom 20. Oktober 2024.)

Ich bedauere ja oft, dass dieses viel beklagte „Pressesterben“ viel zu langsam geht.

(Mit Stable Diffusion generiertes Bild.) Glauben diese Gruselclowns… oh, sorry, ich meine natürlich die Gestalter dieser Gängelung… allen Ernstes daran, dass es auf dieser Welt Menschen gibt, denen es fünf ganze Euro wert ist, auf einer einzelnen von mehreren Milliarden Websites über einen Zeitraum von 24 Stunden lesen zu dürfen? Auf einer noch nicht einmal besonderen und inhaltlich exklusiven Website, sondern in einem contentindustriellen Journalismusprodukt, dessen einziger Zweck und Geschäftsmodell ein Dasein als Köder für den Angelhaken des Werbers ist? Weil ein Werber nun einmal einen Köder für seine perfiden und manipulativen Lügenfallen braucht? Weil der nackte Haken den meisten Fischlein mit Kaufkraft nun einmal nicht schmeckt? Für diesen Zweck ist contentindustrieller Journalismus so ideal, dass er praktisch keine anderen Geschäftsmodelle mehr hat.

Fünf Euro für 24 Stunden Lesen bezahlen, obwohl die Website mindestens zu achtzig Prozent (typisch sind weit über 90 %) aus Inhalten besteht, die es aus diversen Quellen völlig kostenlos gäbe, weil sie in der freien, nach eigenen Angaben „unabhängigen“ und allersorgfältigst recherchierenden Presse immer alle die gleichen Agenturen und frei gelieferten PRessemeldungsticker abschreiben? Fünf Euro für eine „Zeitung“ auf dem Bildschirm, mit der man nach dem Lesen nicht einmal mehr den Vogelkäfig auslegen könnte? Ein Preis, der schon für eine auf Papier gedruckte Tageszeitung schlechterdings absurd wäre? Und das Beste daran: Wenn man so dumm wäre und dafür bezahlte, erhielte man Zugriff auf Informationen, die man in über das Stammtischgebrabbel hinausgehenden Diskussionen, Analysen und Arbeiten gar nicht als Quelle verwenden könnte, da man sie niemals belegen kann. Ein Link auf einen Artikel hinter so einer absurden Gängelmauer ist wie ein Wegweiser in das Nichts und für alle Menschen sinnlos. Steht da ja sogar: Der (weggelassener Artikel von mir hinzugefügt) „Zugriff endet nach 24 Stunden“. Die schreiben ganz offen hin, wie wertlos das ist, was man für den Preis von drei Kilogramm leckerer und satter Nudeln „erwerben“ kann. Und sie schreiben damit offen hin, dass sie noch nicht einmal als zitierfähige Quelle geeignet sein wollen.

Wenn die wirklich glauben, dass dafür jemand fünf Euro latzt, dann haben die einen Dachschaden, der so groß ist, dass sie schon seit langem im Freien schlafen. Ich würde allen für diese Entscheidung verantwortlichen Menschen nach dieser bemerkenswerten Offenbarung ihres gedanklichen Apparates dringend empfehlen, bei eventuellen Gesprächen mit psychiatrischen Gutachtern sehr vorsichtig zu sein. Ich habe Menschen kennengelernt, die schon nach viel geringeren Realitätsverlusten für den Rest ihres Lebens einen Vormund an der Backe hatten.

Ach nein, das sind in Wirklichkeit ganz ausgebuffte Geister? Die wissen genau, dass niemand fünf Øre dafür hinlegt, dass er einen Tag lang eine Website lesen kann? Die wollen mit dieser Gängelung einfach nur die „freiwillige Zustimmung“ in allerlei unerwünschte Datenverarbeitung erzwingen? Weil sie davon ausgehen, dass ihre Leser so dumm sind, dass sie das…

  1. …trotz seiner Offensichtlichkeit nicht durchschauen; oder…
  2. …es zwar durchschauen, aber so wenig Selbstachtung haben, dass sie trotz dieser offenen Intelligenz- und Leserverachtung mit einem lesegierigen und dummen Klick allerlei Zumutungen der Überwachung, des Trackings, der Verdatung zustimmen und weiterlesen?

Die wollen also Dummköpfe als Leser, und damit das auch klappt, beleidigen sie gleich am Eingang keck und offen die Intelligenz jedes Menschen, wohlwissend, dass die gewünschten Dummköpfe das gar nicht bemerken können. Früher, als sie noch kein halbes Fischblatt war, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem claim „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ geworben, was natürlich beabsichtigterweise dazu führte, dass sich so mancher Dummkopf hinter einer FAZ versteckte, um klüger auszusehen. Hier aber ist die öffentlich werbende Selbstdarstellung genau anders herum: „Wir haben nur Dummköpfe als Leser, komm schon, sei auch dumm“.

Nun dann, vor meinem Arsch ist auch kein Gitter! 👅️

Habe ich schon angemerkt, dass mir dieses viel beklagte „Pressesterben“ viel zu langsam geht? Ja? Dann ist ja gut. Dass diese Masche von ihrer irreführenden Machart her gar nicht so sehr anders als diverse (ebenfalls auf dumme und naive Menschen zielende) Betrugsmaschen aus der Spam sind, ist natürlich kein Zufall. Es ist das Ergebnis der selben Denkweisen von Menschen, die an das Geld anderer Menschen kommen wollen, ohne ihnen dafür etwas Wertentsprechendes geben zu wollen und ohne allzuviel Arbeit damit zu haben. Contentindustrieller Journalismus passt sich in seinen Methoden den Spams von Trickbetrügern an. Oder, wie ich zu sagen pflege: Da wächst zusammen, was zusammen gehört.

Dem aus Österreich kommenden contentindustriellen journalistischen Produkt, dass es hier einfach mal mit Leser- und Intelligenzverachtung versucht, wünsche ich noch viel Spaß bei der kommenden innigen Beziehung mit dem Insolvenzverwalter.

(Mit Stable Diffusion generiertes Bild.) Und nein, das ist dann kein Schicksal, es ist Konsequenz des eigenen Tuns und Seins. Es ist auf ganzer Linie verdient. Der intellektuelle Bankrott kam schon lange vor der wirtschaftlichen Insolvenz; das geistige Absterben war schon weitgehend durchschritten, als endlich auch der wirtschaftliche Tod eintrat. Wer allen Ernstes zur Rechtfertigung sagt, dass wir solche Machenschaften „für die Demokratie“ brauchen, der sagt damit übrigens auch: Wir brauchen Betrug und Überrumpelung für die Demokratie. Da darf man sich aber nicht wundern, wenn andere, Geübtere, das mit dem Betrug und der Überrumpelung viel besser hinbekommen (man nennt diese Maschen in politischen Kontexten „Populismus“, damit die Parallele zum Betrug nicht so auffällt), ja, wenn sie es so gut hinbekommen, dass inzwischen ernsthaft darüber gesprochen wird, wie man diese „Demokratie“ vor den lästigen Wählern schützen kann.

Die contentindustrielle Presse schützt nicht die „Demokratie“, sondern die gewerbsmäßig vorgetragene, manipulative Lüge der Reklame. Dafür lässt sie sich bezahlen. Für nichts anderes. Kein Wunder, dass man bei solchem Umgang innerlich verrottet und anfängt, die Menschen und ihre Intelligenz als Feind zu betrachten. Und: Kein Wunder, dass denkende und fühlende Menschen davor fliehen.

3 Kommentare für Als ob sie im Freien schlafen!

  1. J.R. sagt:

    Wenigstens bieten die einen Tageszugang an. Deutsche „Presseerzeugnisse“ nötigen einem sofort ein Abo auf. Ich fühlte denen mal auf den Zahn und einer antwortete mir sogar, Tageszugänge seien nicht rentabel. Dies lässt tief blicken, was deren eigentliches Geschäftsmodell ist.

    Dann gibt es noch die „kostenlosen“, die einem ein Abo aufnötigen wollen, wenn man dem ganzen Tracking nicht zustimmt. Macht man das dann trotzdem im Inkognito-Modus oder einer VM, sieht man ohne Adblocker alle ca. 2 Zeilen irgendeine Werbung.

    Und dann wäre noch die Kombination von beidem: „Presseerzeugnisse“, die eine Paywall mit Abozwang haben und schon nur für den _TEASERTEXT_ und den Hinweis, dass man vor eine Paywall rennt, Akzeptieren von Tracking wollen oder einem gar ein Werbevideo aufnötigen, wenn sie einen Adblocker erkennen.

    Die meisten Bezahl- bzw. Erpressungsschranken kann man ja durch archivieren umgehen, aber mittlerweile werden die auch schon raffinierter und kegeln sich dadurch sogar aus dem Suchmaschinenindex raus, ganz zu schweigen davon, dass sie behinderte Menschen verachten, denn mit Lynx etc. sind solche Websites auch meistens nicht lesbar.

    • Tageszugänge seien nicht rentabel. Dies lässt tief blicken, was deren eigentliches Geschäftsmodell ist

      Ach, wenn man fünf Øre dafür nimmt, dann rechnet sich das schon. Ich verkaufe übrigens Streichhölzer. Für eine halbe Million Øre das Stück. Die will zwar keiner, aber wenns mal einer kauft, bin ich ein gemachter Mann! 😁

      • J.R. sagt:

        Och, ich kann mir schon vorstellen, dass da was dran ist.

        Die nehmen halt mit der Abofalle, insbesondere durch vergessene Kündigungen (die mitunter bei 2-5 Euro pro Woche kaum auffallen, siehe Jamba-Sparabo*), oder mit der „Zweitverwertung“ der Accountdaten so viel ein, dass sie den Tageszugang bei einer gleichen Anzahl Leser so teuer machen müssten, dass sie selbst wissen, dass das niemand bezahlen würde, und deshalb sagt man eben, „das rentiert sich nicht“…

        Und dein Beispiel hier ist die andere Art und Weise, zu sagen, dass man eigentlich keinen Tageszugang will: Ein sog. „F**k-You-Angebot“, das so schlecht ist, dass niemand es eingeht, und wer doch, ist ein „ganz besonderer Kunde“, den zu „umsorgen“ sich besonders „lohnt“.

        Vergleiche die Kosten für den M2M-Zugang zur Reddit-API.

        * Man kann solche „Presse“abos mit Fug und Recht die moderne Version der Jamba-Sparabos nennen

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