Unser täglich Spam

Aus dem Internet frisch auf den Tisch. Köstlich und aromatisch.


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Ein ganz normaler Tag auf #Twitter

Donnerstag, 24. März 2011

Das Twitter-Vögelchen zwitschert Spam Spam Spam Spam Spam Spam...Ein ganz normaler Tag auf Twitter. Oh, so viele neue Follower. So viele Leute, die sich für die kurzen, flüchtigen Mitteilungen in meiner Timeline interessieren? Oder wieder nur Idioten, die mit einem ihrer Drecksprogramme mechanisch ganz vielen Leuten folgen und auf diese Weise darum buhlen, dass zurückgefolgt wird? Mal schauen, was das für Leute sind…

Ah, da hat jemand einen plausibel klingenden richtigen Namen. Den nehme ich doch mal zuerst. Wie sieht denn seine Timeline aus? Na, wie so eine Timeline eben aussieht, ganz viele Kürzsttexte, immer mit einem Link. Der scheint ja viel Interesse daran zu haben, wie man „im Internet Erfolg hat“, und er scheint auch ganz viel darüber zu wissen. Denn alle seine Links gehen auf sein eigenes Splog, das ganz viel darüber verrät, wie man „im Internet Erfolg hat“. Warum folgt der eigentlich so einem erfolgsdeinteressierten Typen wie mir, der ich nicht einmal das gleiche Thema verfolge? Und warum schafft dieser „total erfolgreiche“ Spammer es auch, knapp 10000 weiteren Leuten zu folgen? Der wird ja vor lauter Lesen der Tweets anderer Leute gar nicht mehr zum Erfolghaben kommen, dieser ganz große Webspezialist. Deshalb twittert er wohl auch so wenig, denn er hat mal gerade erst 200 Tweets in den Zwitscherdienst gepustet. Aber immerhin, sein Buhlen um Zurückfolger hat ihm ein beachtliches Auditorium für seine tollen Mitteilungen gegeben. Mal ein paar auffällige Phrasen aus seinem Blog in Anführungszeichen schreiben und ins Google-Suchfeld einfügen… huch, der unterhält ja mehrere Splogs mit genau den gleichen Inhalten. Der hat so viel „Erfolg“, dass ein einziges Splog gar nicht diese großartige Fülle aufnehmen könnte! Und hey, den gleichen Text gibt es auch noch von einem anderen Autor. Na, Guttenberg hatte ja auch Erfolg. Und was bietet dieser Meister des Clipboard und der dummen Followspam als Erfolgsrezept im Internet an? Aha, er will also den Suchindex von Google mit irgendwelchen Linkschleudern zuspammen und hat außerdem ein tolles Programm, mit dem man automatisch Leuten auf Twitter folgen kann. So ist der wohl auch an mich gekommen, in einem wahren Rausch des Erfolges ⇛ einmal in meine Liste „Followerspam“, einmal in meine Liste „Bescheuerte Spammer“ und einmal „Blockieren und als Spam melden“, tschüss.

Aber der da könnte wirklich Interesse an meinem Gezwitscher haben, der heißt ja schon „Hannover“ in seinem Nick und gibt vor, so richtig aktuell und 24 über Hannover zu twittern. Klar, für so einen könnte es interessant sein, andere Timelines aus Hannover zu lesen, auch die gut 2000, die er da liest. Gibt ja hübsche Clientsoftware, die so etwas gut filtern kann. Was hat er denn für hübsche Neuigkeiten anzubieten? Hui, der hat aber ein sehr einseitiges Interesse an „Neuigkeiten“, denn er weist neunmal hintereinander auf die Dienstleistungen eines bestimmten Fotografen hin. Natürlich in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, denn die Dienstleistung eines Fotografen ist im Falle einer Hochzeit ja eine völlig andere als bei einer Einschulung oder einem Passfoto oder einem Familienfest oder… oder… oder… wenn auch die Bewegung des Fingers auf dem Auslöser immer wieder sehr ähnlich aussieht. Und vor allem ist das eine echte Neuigkeit, dass ein Fotograf so etwas macht, das ist so sehr immer wieder neu, dass es immer wieder gebracht werden muss, im Abstand weniger Stunden. Und sonst? Sonst hat er nicht so viel ⇛ einmal in meine Liste „Followerspam“, einmal in meine Liste „Bescheuerte Spammer“ und einmal „Blockieren und als Spam melden“, tschüss.

Hey, da hat einer meiner Follower Aktientipps! Toll, das muss ja ein echter Experte sein! Und so gnädig und gütig, dass er eventuelle Börsengewinne nicht selbst mitnehmen will, sondern einfach mit seinen tollen Tipps anderen überlässt. Ein bisschen spezialisiert ist er aber schon, denn er preist ausschließlich irgendwelche Pfennigpapiere an, die sich mit einem bisschen Spam recht einfach in ihrem Kurs manipulieren lassen. Ob der wohl so viel von diesen giftigen Schwindelzetteln hält (oder entsprechend geshorted hat), dass sich die billige Spam lohnt? Dass er sich drüber freut, dass es immer wieder Idioten gibt, die auf so eine Spam reinfallen und ob er dann rasch vom kurzfristigen Kursfeuerwerk profitiert? Könnte ja sein, die Welt ist schließlich voller Halunken. Aber der doch nicht, der ist doch ein ganz ehrlicher Followspammer auf Twitter, der von Güte und Gnade erfüllt alle Welt reich machen will, ohne selbst etwas davon zu haben… ⇛ einmal in die Liste „Followerspam“, einmal in die Liste „Bescheuerte Spammer“ und einmal „Blockieren und als Spam melden“, friss doch deine Schwindelzettel!

Wahnsinn, Deutsch ist ja echt eine total populäre Sprache. Überall und allerorten will man diese Sprache lernen. Ich habe da gleich sieben Follower, die wohl unbedingt Deutsch lernen wollen und deshalb auf Twitter unbedingt mehr Deutsch lesen möchten – selbst aber noch unsicher in dieser zugegebenermaßen schweren Sprache sind und für ihr eigenes Gezwischer (meist rund um das Thema SEO und Spam-Tools für Twitter) lieber beim Englischen bleiben. Wie die jetzt auf die Idee kommen, dass man bei den Stümmeltexten auf Twitter besonders gute Chancen hat, Deutsch zu lernen? Keine Ahnung. Ach, was habe ich mich gefreut, dass ich etwas für die Verbreitung meiner geliebten deutschen Sprache tun kann ⇛ einmal in die Liste „Followerspam“ und „Blockieren und als Spam melden“, play hiding and fuck yourself, mindless jerk!

Und dann ist da noch einer, der mich über den jetzt wirklich und ganz unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch des europäischen Währungssystems aufklären will, der weiß das auch alles ganz genau und hat ein immens hohes Mitteilungsbedürfnis. Die Tweets geben davon nur einen flüchtigen Eindruck, seine aufklärerische Website ist da noch viel klarer. Es kann sich nur noch um Tage handeln, und Fukushima [wie nützlich für solche Typen, wenn andernorts gelitten und verreckt wird] gibt dem ganzen Gefüge jetzt endlich den lange schon zu erwartenden Gnadenstoß. Er hat auch gleich eine Lösung für alle parat, die angesichts seiner Meldungen Angst um ihr Erarbeitetes und Erspartes bekommen, er verkauft nämlich Gold. Und das ist ja krisenfest ⇛ „Followerspam“, „Bescheuerte Spammer“, „Blockieren und als Spam melden“, eine rundherum goldige Lösung für diese ganz großen Aufklärer und Geschäftemacher.

Hey, und dann sind da drei Leute, die nur Zitate zwitschern. Wie schön für diese Leute, dass es so viele offene Zitatdatenbanken gibt und dass man das so leicht automatisieren kann. Beim Followen sind die „Interessen“ dieser drei Spezialisten allerdings viel weiter gesteckt, man könnte fast glauben, dass es bei ihnen völlig wahllos geschieht. Die nehmen einfach alles mit. Und sie stehen in einem großen Netzwerk von ganz ähnlichen Twitterern, die ebenfalls mit geringer Informationsdichte zwitschern, sich aber ständig untereinander auf allerhand Listen setzen, die den Eindruck erwecken sollen, dass da etwas total Lesenswertes in der Timeline geschieht. Man möchte fast Walter Jens zitieren: „Wer so gut spricht, kann nichts Wahres sagen“. Und wie vielen Leuten die folgen, diese drei! Jeder folgt gleich mehreren tausenden Timelines. Dabei haben die gerade erst hundert Tweets verfasst. Mal ein bisschen durch ihre Timeline blättern, ob die auch mal etwas Substanzielles mitgeteilt haben. Ah, da ist ja was. Gut, substanziell ist vielleicht das falsche Adjektiv, aber immerhin sind es keine Zitate, sondern es sind Hinweise auf ihre SEO-Dienstleistung, die im Wesentlichen darin besteht, den Google-Suchindex mit irgendwelchen spammigen Linkfarmen zu verpesten, damit Google auch ja die Angebote unseriöser Spammer findet und nicht die Inhalte, nach denen die meisten Menschen in Wirklichkeit gesucht haben ⇛ „Followerspam“, „Blockieren und als Spam melden“ aber vorher noch ein fröhliches „Lass dich nicht gehen, geh selbst – Magda Bentrup“ als PM hingezwitschert.

Das Twitter-Vögelchen sollte besser in einem höllischen Rot gehalten seinOh, ich bin durch. Endlich.

Und ich habe jetzt genau so viele Follower wie vor zwei Tagen, denn alle neuen Follower der letzten gut 48 Stunden waren Follow-Spammer. Es war ein ganz normaler Tag auf Twitter.

Der übrigens weitergehen wird, dieser ganz normale Tag, denn ich blogge in „Unser täglich Spam“ über diesen ganz normalen Tag. Im Titel des Postings steht das Wort „Twitter“. Als ich das letzte Mal dieses Wort in einem Titel hier im „Unser täglich Spam“ verwendet habe, gab es auf diesen einen Artikel im Laufe der nächsten sieben Tag knapp vierhundert versuchte Kommentar- und Pingback-Spams, welche die ganze Bandbreite des Internetbetrugs vom Pimmelpillen-Apotheker über den SEO-Spamanbieter über ganz besonders wenig empfehlenswerte Touristikanbieter bis hin zu windigen Geldanlageprodukten. Sechs von diesen Spamkommentaren waren mutmaßlich vom Ein-Euro-Job-Prekariat handgeschrieben und somit schwierig von einem Anti-Spam-Skript zu erkennen, ich musste sie nachträglich von Hand löschen. Wo immer auch gezwitschert wird, da erklingen schnell die heiseren Rufe der darüber kreisenden gefiederten Aasfresser.

Denn die Spammer glauben, dass Twitter die heißeste Sau des ganzen Internet ist, und immer, wenn irgendwo das Wort „Twitter“ steht, kriegen sie einen unwiderstehlichen und größtenteils mechanischen Impuls, ihre markant duftenden Hervorbringungen dort zu hinterlassen.

Warum die Spammer so vorgehen? Keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, dass Twitter der ideale Web-Zwo-Nulldienst für Spammer ist, da es dort völlig normal ist, eine eher etwas inhaltslose Kommunikation zu betreiben. So etwas kommt Spammern natürlich sehr entgegen. Auch die von der erzwungenen Verstümmelung jeder Mitteilung auf 140 Zeichen erzwungene Verwendung irgendwelcher URL-Kürzer, die das Ziel eines Links erstmal verbergen, ist vor allem für Spammer hilfreich. Den Rest erledigt die manifeste Dummheit sehr vieler Twitter-Nutzer, die so etwas wie eine Verpflichtung zu verspüren scheinen, jedem, der ihnen folgt, zurückzufolgen, ohne auch nur darüber nachzudenken.

Was einmal ein ganz nützlicher Web-Zwo-Nulldienst für die kurze Mitteilung an einen interessierten Kreis von Menschen war, ist mittlerweile jedenfalls eine Wüste der Spam.

Noch ließe sich diese Entwicklung aufhalten, wenn auch nur jeder fünfte Betroffene der idiotischen Spamversuche reagieren würde, indem die Spammer bei Twitter als Spam gemeldet werden. Da das nicht immer schnell zum Erfolg führt, empfehle ich, eine Liste für Spammer anzulegen, damit im Profil der Spammer sichtbar gemacht werden kann, dass andere dieses hirnlose Gezwitscher bereits als Spam empfinden und behandeln – das kann ein vielen Grenzfällen sehr hilfreich sein. Die „besseren“ Twitter-Spammer sind nämlich dazu übergegangen, vor ihrem massenhaften Folgen die Timeline mit halbwegs normal aussehenden Mitteilungen zu fluten, um dann, wenn genügend zurückgefolgt wurde, mit ihrem geistlosen Gespamme anzufangen. Da das Thema der Twitter-Spam aber zurzeit für die meisten Twitter-Nutzer auf die leichte Schulter genommen wird, kommt es nicht zu einem derartigen Vorgehen, und in der Folge ist Twitter das ideale Biotop für windige Geschäftemacher, Betrüger und sonstiges gier- und geisteskrankes Geschmeiß. Schade drum.