Unser täglich Spam

Aus dem Internet frisch auf den Tisch. Köstlich und aromatisch.


1,500,000.00 EUR

Freitag, 28. November 2025, 10:36 Uhr

Nee, so viel habe ich gerade nicht rumliegen. Oder bekomme ich das mal wieder geschenkt? Wer schreibt mir überhaupt?

Von: مهرائيل رفعت هارون عريان <Mohrael.Reefat.D01161@f-arts.helwan.edu.eg>

Kenne ich nicht.

Was schreibt es denn?

Hallo,

Aha, es kennt mich auch nicht.

Ich stehe übrigens nicht als Empfänger in der Mail. Es ist eine ganz klare Spam. Dieser E-Müll aus der Trickbetrügerhölle geht an ganz viele Empfänger gleichzeitig, vermutlich an hunderttausende. Man muss kein Wort vom eigentlichen Inhalt gelesen haben, um das zu bemerken. Die Spam wird zum Glück auch relativ deutlich von Spamfiltern erkannt, es könnte aber passieren, dass sie bei nicht ganz so strikter Filterung mal durchflutscht. Außerdem ist es ein neuer Text, Grund genug, einmal mehr darüber zu bloggen.

Mein Name ist Prof. Dr. Karla Barros.

Im Namensteil der Absenderadresse steht aber etwas von Mohrael Reefat, und leider kann ich das arabische Skript nicht so locker lesen, wie ich gern möchte. Aber ich wäre nicht überrascht, wenn da nochmal ein anderer Name stünde. Es sieht für mich allerdings nicht so aus. Immerhin stimmen das „M…r“ und das „R“.

Die Mail wurde über eine US-amerikanische Mailadresse…

$ whois 52.101.72.121 | grep -i ^orgname
OrgName:        Microsoft Corporation
$ _

…aus dem IP-Bereich von Microsoft versendet. Vermutlich handelt es sich um den Missbrauch eines Freemailers. Meine Abuse-Meldung ist schon draußen. Microsoft ist ja nicht Google, die tun auch etwas. (Ja, es fällt mir schwer, ausgerechnet Microsoft zu loben! Das ich es tun muss, liegt allerdings an Google.)

Gemäß Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union […]

Nun, ich will es mal so sagen: Mir sind keine durch EU-Recht garantierte Rechte und „Freiheiten“ verletzt worden. 😁️

Eine kurze Abschweifung: Warum ich „Freiheiten“ in Anführungszeichen schreibe? Weil sie nicht die Freiheit sind. Freiheit ist unteilbar. Davon gibt es keinen Plural. „Freiheiten“ sind von Herrschenden unter Vorbehalt gnädigst eingeräumte und im Zweifelsfall (Krieg, Witze über die Herrschenden, Profitschwund bei den Freunden der Herrschenden, Angstattacken der Herrschenden) schnell unter Vorwänden wieder entzogene oder eingeschränkte selbstbestimmte Lebensmöglichkeiten, sind das Zuckerbrot in Ergänzung zur Peitsche des Zwingherrn, sind also das genaue Gegenteil von Freiheit. So, jetzt aber zurück zur Spam:

[…] und den einschlägigen Bestimmungen zum finanziellen Ausgleich nach geltendem europäischen und internationalen Recht bin ich verpflichtet, eine Entschädigung in Höhe von 1,500,000.00 EUR zu zahlen.

Spamprofessorchen, und dann kennst du von mir nur den Namen „Hallo“? Und schreibst nicht einmal meine Mailadresse als Empfänger in deine Spam?

Übrigens: Jeder Dolmetscher fürs Deutsche in Einrichtungen der Europäischen Union wird wissen, wie man in der deutschen Sprache dieses Ding mit den Kommas und Punkten bei nummerischen Angaben macht: Das Komma trennt die Dezimalstellen ab – das deutsche Wort dafür lautet übrigens: Nachkommastellen – und der Punkt trennt die Tausender in längeren Ziffernfolgen, um die Größenordnung schnell einschätzen zu können. Also genau umgekehrt, wie es dieser aufdringlich mit Banknoten wedelnde, vom europäischen Recht faselnde Spammer macht. In der deutschsprachigen Schweiz macht man es nochmal anders und für meine Augen viel hübscher und klarer, weil Verwechslungen gar nicht möglich sind. Aber mich fragt ja niemand. Sonst wäre auch die letzte Rechtschreibreform ganz anders gelaufen. Zum Beispiel hätte ich den barocken Sonderbuchstaben „ß“ und die auch für Muttersprachler oft schwierige Groß-Kleinschreibung abgeschafft. Letztere ist nämlich die wahre Front ziemlich unnützer Schwierigkeit. Dass in einer Sprache, deren Sprecher sich bei Bedarf einfach neue Wörter bilden, nicht immer klar ist, was man zusammen- und was man getrennt schreibt, ist klar. Ich hätte es einfach entreguliert und den Schreibern überlassen, ob sie „autofahren“ oder „auto fahren“, ob sie „radfahren“ oder „rad fahren“ schreiben wollen (Kleinschreibung im Beispiel beachten, es fällt doch kaum auf). Gegen Stil oder einen Mangel daran helfen keine pedantischen DIN-Normen. Aber ich hatte heute schon etwas mit Freiheit und „Freiheiten“, ich bleibe mal besser bei der Spam:

Diese Zahlung erfolgt im Zusammenhang mit früheren Finanztransaktionen, bei denen Ihnen nachweislich Kosten und Ausgaben entstanden sind, Sie aber aufgrund verwaltungstechnischer oder verfahrenstechnischer Probleme nicht die Ihnen zustehenden Mittel erhalten haben.

Aha, ich kriege ganz viel Geld, weil ich schon einmal auf einen Trickbetrug reingefallen bin, dass ich ganz viel Geld kriege und dafür eine Vorleistung nach der anderen bezahlt habe.

Das ist übrigens bei mir nicht der Fall.

Die Entschädigung wird daher nach einem formellen Überprüfungsverfahren gewährt, das die Grundsätze der Fairness, Transparenz und angemessenen Entschädigung nach EU-Recht gewährleistet.

Aha! Wird das Orakel befragt, oder handelt es sich um eine Lotterieziehung? Der Satz sagt in ganz vielen aufgeblähten Worten gar nichts und soll nur beeindrucken.

Bitte antworten Sie auf diese Nachricht, um detaillierte Anweisungen zum Erhalt dieser Mittel zu erhalten.

Ich denke, du bist verpflichtet, Spamprofessorchen! Dann tu mal was!

Aber ich sehe schon:

ERFORDERLICHE INFORMATIONEN:
Vor- und Nachname:
Land:
Adresse:
Telefonnummer:
Beruf:
Zahlungsreferenznummer: NRTB/JH2025/28392DV/EUR

Ich muss dem „europarechtlich verpflichteten“ Vorschussbetrüger erstmal mitteilen, wie ich heiße, wo ich wohne und was ich arbeite (daran können die Betrüger grob abschätzen, wie viel Geld sie aus einem rausleiern können und wie viel Aufwand sich lohnt, denn sie arbeiten auch nicht so gern). Ach ja, und eine Quatschnummer muss ich noch abschreiben. Das ist sicherlich eine ganz geheime Geheim-Quatschnummer, denn wer die hat, kriegt ja 1,5 Megaeuro, wenn er seinen Namen dazuschreibt. Schade, dass sie in einer unverschlüsselten Mail so offen wie auf einer Postkarte mitgeteilt wird – und wegen des Verzichts auf eine digitale Signatur der Mail auf dem gesamten Transportweg beliebig verändert werden kann.

Übrigens ist die Angabe einer Telefonnummer aus Sicht der Spammer wichtiger als die Angabe einer IBAN für die Überweisung. Zur Überweisung kommt es ja eh nicht. Aber am Telefon kommen die geübten, gewerbsmäßigen Trickbetrüger erst richtig zur Hochform. In gut eingespielten Aufführungen faseln sie das Gehirn ihrer Opfer so lange weich, bis sie es auslöffeln können und die Opfer eine finanzielle Vorleistung nach der anderen bezahlen, am besten über anonymisierende Verfahren wie Western Union oder auch mal mit Kryptogeld. Dabei haben die Opfer immer anderthalb Millionen Euro vor Augen, und den Gedanke, dass sie betrogen werden, vermeiden sie, weil sie dann ja das ganze bereits bezahlte Geld abschreiben müssten. Es fängt mit kleinen Beträgen an, und…

Eine alte Karikatur, die den auf einem Esel reitenden Tod zeigt, der dem Esel mit einer Angelleine eine Karotte vor Augen hält, damit er weiter geht. Der Esel rennt gierig auf den Abgrund zu.
Bild: Wikimedia Commons, Lizenz: Public Domain

…findet erst ein Ende, wenn nichts mehr zu holen ist oder doch mal einer zu ahnen scheint, dass er betrogen wird. Mittlere sechsstellige Schäden sind schon vorgekommen, ein paar Tausender sind eigentlich immer weg. Viele Opfer verschulden sich sogar, weil sie glauben, in Kürze mit Leichtigkeit zurückzahlen zu können. Ja, man muss ein bisschen naiv sein, um darauf reinzufallen, aber dass einer naiv ist, macht es noch lange nicht legitim, dass man ihm so übel mitspielt!

Wichtige Informationen: Bitte senden Sie die oben genannten Informationen direkt an die offizielle E-Mail-Adresse des technischen Supports der Europäischen Union:
europeanaidinfo@europe.com

Bitte nicht an die Absenderadresse antworten, wie man das sonst bei jeder E-Mail macht, denn die Absenderadresse ist gefälscht.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Karla Barros
Leitende Entschädigungsbeauftragte
Referat für humanitäre Entschädigung
Europäische Union
E-Mail: europeanaidinfo@europe.com

Mit Winkewinke vom Trickbetrüger.

Leider fällt immer irgendwer darauf rein.

Ein Kommentar für 1,500,000.00 EUR

  1. Michael P. sagt:

    Die E-Mail-Adresse mit @europe.com sieht vertrauenerweckender aus als die üblichen gmail-Adressen. Die Scammer lernen dazu. Wer allerdings glaubt, Anspruch auf 1,5 Mio € an Kostenerstattung zu haben, sollte sich fragen, wie er überhaupt so viel Geld ausgeben konnte, dass ihm eine solch hohe Kostenerstattung zusteht. Zu glauben, dass man ihm irrtümlich so viel Geld zukommen lassen will, ist in der Tat naiv.

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