Es ist eine schlechte Nachricht: Ich glaube, Twitter hat inzwischen vor der Spam kapituliert. Der Damm ist gebrochen. Nichts kann die Fluten noch aufhalten. Sie werden alles mit sich reißen. (Am Ende sogar jegliche Geschäftsidee von Twitter.) 🙁
Im September vorigen Jahres habe ich die Hashtag-Spam für den spamgetriebenen mutmaßlichen Dating-Betrüger unter der Domain www (punkt) kiss69 (punkt) me
genauer beschrieben und darauf hingewiesen, dass es für Twitter gar nicht leicht ist, die schnell skriptgesteuert eingerichteten Spamkanäle zuverlässig zu erkennen und zu löschen. Dies verband ich mit der Aufforderung, sie bei jeder Gelegenheit an Twitter als Spammer zu melden.
Der Spamcharakter dieser Nutzung ist klar erkennbar. Es werden systematisch aus zehn- bis hunderttausenden von Kanälen Hashtags mit einer softerotischen Reklame für eine fragwürdige Website geflutet. Die für diese Spamreklame verwendeten Fotos machen den Eindruck, aus dem gesamten Web zusammengeklaubt worden zu sein¹, und die Sammlung der Spammer scheint recht groß zu sein. Es sind viele derartige Kanäle, die jeder für sich mit relativ geringer Frequenz posten und damit „unter dem Radar“ von Twitters Spamerkennungsmöglichkeiten bleiben. Und dass jedes Posting mit einem Foto angereichert wird, ist auch nicht so ungewöhnlich, dass es auf Seiten Twitters auffallen müsste, sondern eine häufige, legitime und von Twitter erwünschte Nutzungsform. Anstelle eines leicht zu erkennenden und zu filternden Links gibt es somit eine im Bild grafisch als Text dargestellte Domain zum Abtippen. So etwas lässt sich ungleich schwieriger mit einer Software erkennen, als man einen Link im Text erkennen und auf Grundlage einer täglich gepflegten Blacklist behandeln könnte.
Und Twitter hat auch nach über einem Vierteljahr dieser Form der Spam immer noch keine Heuristiken, um die Spam sicher automatisiert zu behandeln. Hier ist nur ein Beispiel für einige Handvoll vergleichbarer Profile, die ich eben gerade als Spam gemeldet habe, was mich übrigens fast eine Viertelstunde meiner beschränkten Lebenszeit gekostet hat:
Twitter scheint nicht einmal einen Versuch zu machen, entsprechende Heuristiken zu entwickeln. (Es wäre zum Beispiel relativ einfach, das abgedunkelte Rechteck in der Bildmitte automatisch zu erkennen.) So wie heute habe ich die gleiche, dumme Masche seit Monaten jeden Tag vielfach gemeldet, und ich kann mir kaum vorstellen, dass ich der einzige Mensch bin, der bei Twitter die Spam als Spam meldet. Diese Form der Spam ist keine Kleinigkeit, sondern eine Pest. Jeder Twitter-Nutzer, der einem Hashtag folgt, wird irgendwann einmal von einem dieser Spamfiepser belästigt werden. „Irgendwann einmal“ meint hier: Bis zu vierzig Mal binnen zweier Stunden (das ist mir schon passiert). Die Spammer kennen nur wenig Zurückhaltung in den Wörtern, die sie als Hashtag vollspammen – man merkt allerdings, dass hier mit dummer Software und wahllosen Listen vorgegangen wird, dass das Verfahren also durchaus noch verbesserungsfähig wäre. Aber es gibt in der Spam selbst neben der Verwendung von Hashtags keine Interaktionen, die für Twitter leicht zu erkennen wären, zum Beispiel keine sinnlos verteilten Follows, um sich eine Zuhörerschaft für die Spam aufzubauen.
Dass Twitter scheinbar geneigt ist, diese Spam einfach kampflos hinzunehmen, ist ein ganz schlechtes Zeichen. Dann wird es bald sehr viel mehr von dieser Spam geben. Sie ist ja insofern „erfolgreich“, als dass sie nicht bekämpft wird. Das Hashtag-System – jetzt schon ein häufig von dummen Gestalten mit Aufmerksamkeitserzwingungsabsicht missbrauchter Teil Twitters, wie jeder bei Sportübertragungen, Wahlen und beliebten Fernsehshows mit Leichtigkeit beobachten kann – wird spätestens dann vollständig unbrauchbar werden, wenn es nur noch zur Bekanntschaft mit allerlei Datingbetrügern, Roulettemeistern, Pimmelpillenapothekern, Reichwerdexperten, Trickbetrügern und vergleichbarem Geschmeiß führt.
Was aber von Twitter übrigbleiben wird, wenn es nicht mehr eine brauchbare Plattform des schnellen Informationsflusses ist? Ich habe da keine gute Prognose… 🙁
¹Wer noch einen Grund braucht, niemals ein persönliches, eventuell missbrauchbares Foto von sich irgendwo im Internet zu veröffentlichen, hat hier hoffentlich einen!