Unser täglich Spam

Aus dem Internet frisch auf den Tisch. Köstlich und aromatisch.


Tagesarchiv für den 21. September 2011

Your credit card is blocked

Mittwoch, 21. September 2011

Das ist die massive Spamflut des heutigen Tages, ich habe gar keine Lust mehr, das zu zählen. Ach, das macht ja auch der Rechner für mich, wenn ich das will…

$ grep '^Subject.*blocked$' spam | wc -l
     109

…aber ob ich das wirklich wollte. Ich schätze mal, dass dieser virtuelle Kothaufen auch in viele andere Postfächer gemacht wurde.

Dear Customer,
Your credit card is locked!
With your credit card was removed $ 087,2 [sic!]

Possibly illegal transaction! [sic!]

More detailed information in the attached file.

Immediately contact your bank .
Best regards, MASTER CARD CUSTOMER SERVICES.

Schon die Anrede „Sehr geehrter Kunde“ sollte klar machen, dass man hier keine Mail seines Kreditkartenunternehmens vor sich hat, sondern eine relativ schlecht gemachte Spam. Der Betrag ändert sich von Mail zu Mail, im Beispiel habe ich einen besonders missglückten Betrag mit führender Null und einer Nachkommastelle rausgepickt.

Schnellerklärung

Der Anhang ist ein ZIP-Archiv. Der Datei ist in jeder Spam anders, hat jedoch eine andere Gemeinsamkeit. Darin ist nämlich eine Datei mit einem ganz besonders lustigen Dateinamen, die so tut, als hätte sie die Dateinamenserweiterung .docwas aber nicht stimmt. In Wirklichkeit hat hier jemand mit ein paar Steuersequenzen herumgespielt, um diesen falschen Eindruck zu erwecken, und es handelt sich um eine ausführbare Datei für Microsoft Windows und nicht um ein Dokument für Microsoft Word. Was von einem Programm zu halten ist, das einem so hinterhältig untergejubelt wird, muss ich wohl nicht vertiefen – es dürfte eine aktuelle Kollektion von Schadsoftware installieren.

Deshalb: Nicht drauf klicken! Löschen! Und generell niemals auf den Virenscanner vertrauen, wenn eine dermaßen leicht als Spam erkennbare Mail die Aufmerksamkeit erzwingen will.

Etwas technischer: Wie haben die das gemacht?

Ich gehe davon aus, dass dieser durchaus intelligente Hack in den kommenden Wochen häufiger versucht werden wird. Deshalb hier eine kurze Beschreibung, was da geschieht:

  1. Der Dateiname endet mit der Zeichenfolge cod.exe.
  2. Vor diesen Zeichen befinden sich (im Dateinamen) die Unicode-Zeichen U+202B und U+202E.
  3. Diese steuern, ob der Text von links nach rechts (wie lateinische Schrift) oder von rechts nach links (wie arabische Schrift) gelesen wird und überschreiben die Einstellung für die angezeigte Sprache.
  4. Moderne Betriebssysteme können Unicode in Dateinamen korrekt interpretieren (so dass beliebige Namen in beliebigen Sprachen und Alphabeten möglich sind) und zeigen den Namen genau so an, wie es von diesen selbst unsichtbaren Steuerzeichen gefordert wird.
  5. Im Ergebnis wird cod ans Ende der Zeile gestellt und die Zeichenfolge wird umgekehrt, so dass der Dateiname auf exe.doc zu enden scheint, was bei oberflächlicher Betrachtung wie ein Dokument für Microsoft Word aussieht.

Ich weiß, das war immer noch etwas zu schnell, aber ich kann hier nicht das ganze Unicode-System erklären. (Auch deshalb, weil ich es nicht im vollen Umfang verstehe.)

Der irreführende Dateiname ist also möglich, weil bei der Darstellung des Dateinamens auch Unicode-Sequenzen interpretiert werden, die im Zusammenhang eines Dateinamens im Allgemeinen nicht sinnvoll sind. Diese Funktionalität wird vermutlich mit den Standardbibliotheken der grafischen Oberfläche „mitgeliefert“, der Dateiname erhält keine weitere Filterung durch den verwendeten Dateimanager. Dieses Problem ist nicht auf Windows beschränkt, ich konnte die irreführende Anzeige mit dem Thunar-Dateimanager der XFCE-Desktop-Umgebung unter Debian GNU/Linux reproduzieren. (Dort ist Gtk+ für die graphische Darstellung zuständig.) Unter Linux ist das Problem nur deshalb kleiner, weil Dateinamenserweiterungen keine so bedeutende Rolle spielen. Ob auch MacOS darauf „hereinfällt“, kann ich mangels Mac leider nicht entscheiden. Es ist ein ziemlich allgemeines Problem. Die Flexibilität moderner Betriebssysteme, die beinahe jede lebende (und manche tote) Sprache dieser Welt überall ermöglichen, kommt den kriminellen Spammern entgegen, die erfolgreich einen falschen Eindruck erwecken können. Allgemeine Abhilfe ist schwierig, es gibt gewiss noch weitere Eigenschaften von Unicode, die sich in vergleichbarer Weise ausbeuten lassen.

Der hier kurz beschriebene Trick wird wohl morgen (oder im schlimmsten Fall: übermorgen) von den meisten Virenscannern erkannt werden. Dafür hat er heute vermutlich schon einen gewaltigen Schaden angerichtet.

Für normale Menschen kann ich immer nur mit der Beharrlichkeit einer mechanisch betriebenen Gebetsmühle den immer gleichen Hinweis wiederholen: Niemals in einer Spam herumklicken! Auch dann nicht, wenn der Anhang einer Spam relativ harmlos aussieht, etwa wie eine Textdatei, ein PDF, ein Bild. Die „Kreativität“ der organisiert Kriminellen, wenn es darum geht, anderen Menschen bösartige Software unterzujubeln, sie ist schier unerschöpflich. Virenscanner und so genannte „Personal Firewalls“ sind niemals ein ausreichender Schutz. Die Sicherheit des eigenen Computers beginnt mit dem Menschen, der vorm Computer sitzt.

Und generell sollte äußerste Vorsicht bei Mailanhängen gelten, die nicht vorher verabredet waren. Wer etwas mitzuteilen hat, kann es in der Regel in der Mail schreiben und muss dafür kein Dokument anhängen.

Noch ein Hinweis

Ich habe bei einer sehr kurzen Recherche gefunden, dass dieser Trick bereits im Mai dieses Jahres als eine mögliche Schwachstelle erörtert wurde. Vier Monate sind im Bezug auf eine ausbeutbare Schwachstelle in der Internet-Kommunikation eine kleine Ewigkeit. Wenn dieses Problem bei Microsoft bekannt war, und wenn nichts in Hinsicht auf dieses Problem unternommen wurde, dann sind die Menschen, die sich auf Microsoft verlassen haben, wieder einmal verlassen gewesen. Im Ergebnis hat das organisierte Verbrechen im Internet vermutlich wieder einige zehntausende Bots für äußerst unerfreuliche Tätigkeiten zur Verfügung.